Das Märchen erzählen gehört zum Mensch sein dazu. Es gibt schriftliche Überlieferungen, die belegen, dass Menschen einander seit Jahrtausenden Märchen erzählen. Um die Welt zu verstehen und mit Konflikten umzugehen. Märchen und andere Geschichten helfen, die Wirklichkeit zu deuten und zu verstehen. Es geht um die großen Themen des Lebens und die sind heute noch so relevant wie vor dreitausend Jahren.
Es gibt in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehrere Möglichkeiten, das freie Erzählen von Märchen zu lernen. Dabei unterscheiden sie sich neben der mehr oder weniger guten Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte durch ihre Lehrmethoden: Werden die Märchen wörtlich erzählt oder beim Erzählen frei formuliert? Für beides gibt es gute Argumente und leidenschaftliche Befürworterinnen.
1. Die Wort-für-Wort-Methode
Die Tradition, Märchen Wort für Wort auswendig zu lernen, beruht auf dem Wunsch, diese besonderen Geschichten so gut wie möglich zu überliefern. Die Geschichten sollen nicht verfälscht werden und so als Kulturgut bewahrt werden.
Vom literarischen Standpunkt ist das absolut plausibel. Allerdings hält diese Linie der Märchenerzählerinnen einen bestimmten Stand der Märchen fest: den Zeitpunkt, als die Märchen aufgeschrieben wurden. Für die Märchen, die sich in der Sammlung der Brüder Grimm befinden, ist das die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts.
2. Das freie Erzählen
Wer das freie Erzählen lernt, verpflichtet sich auch, die Geschichten originalgetreu zu erzählen. Aber er oder sie legt nicht wert auf jedes einzelne Wort, sondern formuliert jedes Mal neu, wenn die Geschichte erzählt wird.
Dadurch verändern sich die Sätze, sind mal länger und mal kürzer, mal etwas ausgeschmückter und mal etwas nüchterner. Die Geschichte verändert sich aber nicht. Denn auch wer frei erzählt, erarbeitet sich vorher die Symbolik der Geschichte und den Handlungsbogen, um die Geschichte nicht zu verfälschen.
Was ist leichter zu lernen?
Wenn du es schon in der Schule geliebt hast, Gedichte und Lieder auswendig zu lernen, dann spricht dich das wörtliche Erzählen vielleicht mehr an.
Im Grunde ist für die meisten Menschen die eine Methode aber nicht leichter oder schwerer zu lernen als die andere.
Wenn du wörtlich erzählst, prägst du dir Satz für Satz den Text des Märchens ein, wie er in einer Märchensammlung vorliegt. Ein gutes Verständnis ist auch hier hilfreich, denn was dich emotional berührt, prägt sich dir auch leichter ein.
Wenn du frei erzählst, dann bereitest du ein Märchen anders für das Erzählen vor. Du lernst nicht Satz für Satz, sondern du erarbeitest dir den Handlubgsbogen und die einzelnen Schritte des Märchenhelden oder der Heldin. Du merkst dir Symbole und auch einige Redewendungen. Denn schließlich braucht Schneewittchen immer den Satz: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste hier im Land?“ Aber nur diese geprägten Sätze werden wörtlich auswendig gelernt. Alles andere formulierst du beim Erzählen jedes Mal neu.
Durch die genaue Bearbeitung des Handlungsbogens und der Entwicklung der Heldin, entstehen innere Bilder. Diese inneren Bilder beschreibst du dann beim Erzählen.
Der Vorteil dieser Methode ist, dass du genau im richtigen Tempo erzählst. Denn du brauchst Zeit, um deine inneren Bilder zu sehen und dann zu beschreiben. Dadurch gibst du deinen Zuhörerinnen genug Zeit, die Bilder auch vor ihrem inneren Auge entstehen zu sehen.
Erzählerinnen, die wörtlich erzählen, reden oft zu schnell. Denn sie müssen nicht die Bilder entstehen lassen und tragen den Text wie etwas vor, was sie lesen. Mit viel Übung kann dieser Nachteil aber ausgeglichen werden.
Warum ich dir als Märchenerzählerin das freie Erzählen empfehle
Ich habe als Kind sehr gerne Gedichte und Lieder auswendig gelernt. Es fällt mir auch heute noch sehr leicht.
Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich beim freien Erzählen viel dichter am Kern des Märchen bin. Ich spüre die Geschichte, sie geht ganz durch mich hindurch. Wenn ich einen Text auswendig aufsage, kann ich ihn auch gut betonen und vortragen, aber ich bin beim Erzählen in meinem Kopf. Ich will Wort für Wort gut rüberbringen. Wenn ich frei erzähle, bin ich nicht bei den Worten sondern bei den Bildern und den Gefühlen des Märchens.
Ich fühle mich involvierter. Das Märchen geht mich etwas an, ich leide mit und ich freue mich mit, wenn es am Ende gut ausgeht.
Wenn es dir vor allem darum geht, die Märchen in ihrer Form als Kulturgut zu erhalten, ist das wörtliche Erzählen für dich das Richtige.
Wenn du die Märchen nicht nur zur Unterhaltung erzählst, sondern weil du den Menschen wirklich Hoffnung machen möchtest, dass auch sie ihre Herausforderungen überstehen können, dann ist das freie Erzählen die Methode, die ich dir empfehle.
Du möchtest gerne mal wieder ein Märchen hören? Dann melde dich zu meinem Adventskalender an und höre im Dezember 24 Märchen. Nimm dir in diesen hektischen Wochen mit beunruhigenden Nachrichten aus aller Welt Zeit zum Durchatmen und zum Träumen!