Ich liebe es, neue Sachen zu lernen. Ich liebe es, sie miteinander zu verknüpfen und andere daran teilhaben zu lassen.
Vor fünf Jahren habe ich mir vor dem Sommerurlaub ein iPad gekauft. Bis dahin hatte ich nur in einem Bullet Journal gezeichnet oder kleine Collagen auf einem Malblock erstellt. Jetzt wollte ich zeichnen lernen und zu der Zeit war völlig klar, dass nur Apple Pencil und iPad perfekt aufeinander abgestimmt sind. Die Android Tablets hatten noch keine Stifte, die gut mit ihnen zusammenarbeiten konnten. Ein großes Zeichen-Tablett wollte ich nicht. Bei mir muss immer alles klein und kompakt sein. Denn ich bin gerne unterwegs und dort kommen mir viele Ideen, die ich dann auch sofort umsetzen will.
Digitales Zeichnen lernen
In diesem ersten Sommer habe ich die Grundlagen des digitalen Zeichens gelernt. Zu der Zeit hatte ich auch gerade meinen Sportbootführerschein angefangen. Also habe ich dann beides verknüpft. Ich habe die ersten grundlegenden Fragen der Seefahrt durchgearbeitet, wie sie im Lehrbuch erklärt wurden, und dann auf meinem iPad in Skizzen festgehalten.
In der App Procreate kann man sich ohne Bildschirmaufnahme den Prozess des Zeichnens als kleines Video abspielen lassen und auch kleine Animationen erstellen.
Die Kombi ist sowohl für visuelle als auch auditive Lernende super. Ich kann mit den Zeichnungen lernen wie ich früher Vokabeln gelernt habe oder mir die Stimme anhören, die die Aufgaben vorliest, und dabei sogar noch zusehen, wie die Zeichnungen entstehen. So prägen sich die Inhalte sehr gut ein.
Ich weiß von vielen Frauen, dass sie eigentlich gerne segeln würden, aber die Bezeichnungen wie ich sehr verwirrend finden. Also wollte ich das, was ich mir erarbeitet hatte, gerne teilen.
Ich habe dann sogar noch ein kleines Intro erstellt: mit meinem Gesicht, so dass man weiß, zu wem die Stimme gehört, und einer kurzen Videosequenz, in dem unser Playmobil-Katamaran durch unseren Swimmingpool fährt. Mit den Worten „Hi, ich bin Antoinette und ich mache mir gern selbst ein Bild“ wird das Video eingeleitet. Im Beschreibungstext habe ich erklärt warum es beim Lernen so hilfreich sein kann, Bilder zu nutzen. Denn dazu hatte ich in einer Weiterbildung gerade einige Studien gelesen.
Das erste Video ist online
Meine Kinder waren sehr stolz auf mich. Ich hatte mich nicht nur getraut, ein erstes YouTube Video aufzunehmen, sondern sie fanden es fast gar nicht peinlich und mochten den ersten etwas verspielten Satz „Ich mach mir gern selbst ein Bild“ richtig gerne. Ich habe das Video dann an Menschen aus dem Bekanntenkreis geschickt und um Überprüfung gebeten. Auch die alten Seebären unter ihnen gaben mir einen „Daumen hoch“. Ich hatte nichts falsch erklärt. Ein Klassenkamerad meines Sohnes, der oft surfen geht, war mein erster Abonnent.
Nach wenigen Tagen kommentierte dann ein User mit dem Namen Segelopa, mein Video mit den Worten: „immer diese GenderKacke“. Das hat mich sehr getroffen. Abgesehen davon, dass wir immer gendern, nur meistens eben in der männlichen Form, sind wir in diesem Land gewohnt, erstmal das zu sagen, was uns nicht gefällt. Ich weiß nicht warum ein wahrscheinlich sehr erfahrener Segelopa, diesen Kommentar loswerden musste. Das Segeln oder die Seefahrt sind in den letzten Jahrhunderten fest in Männer-Hand gewesen. Das ändert sich. Kirsten Neuschäfer gewinnt 2024 das Golden Globe Race (Maja von Magic Carpet hat einen schönen Film dazu gemacht), 47 Frauen segeln alleine auf einem Traditionssegler über den Atlantik. Manche Männer feiern das, anderen macht das Angst.
Wenn wir erstmal alleine segeln, was tun wir dann als Nächstes?
Eigentlich sollte es für mich keine Rolle spielen. Niemand von den Segelopas muss mir erlauben, ein Segelboot zu besteigen. Ich brauche auch keine Erlaubnis, über meine kleinen Fortschritte beim Lernen in diesem großen Feld zu berichten.
Warum hat mich der Kommentar trotzdem so sehr getroffen? Er hat mich so doll getroffen, dass ich mein Video gelöscht habe. Ich hab es nicht nur auf privat gesetzt. Ich habe es im Affekt komplett gelöscht, weil ich noch nicht bereit war, mir meine kleinen Fortschritte von den Männern aberkennen und vermiesen zu lassen.
Zu dieser Zeit hat mich ein Märchen sehr beschäftigt. Es heißt „die goldene Haut“. Es handelt von einer Prinzessin, die eine goldene Haut hat und von einem Dieb entführt wird, der ihr die Haut runter reißt. Ich habe das Märchen auf Festivals erzählt und die Menschen haben ganz unterschiedlich darauf reagiert Die meisten mit einem leichten Schaudern. In dieser Zeit ging es auch in meinen Märchenmeditationen immer wieder um die Haut. Ich habe oft gesehen, wie ich mir so etwas wie eine Rüstung auf die Haut gestrichen habe, um mich zu schützen.
Ich glaube, irgendwann ist es Zeit, die Rüstung abzunehmen. Und auf den Schutz der eigenen Haut zu vertrauen.
Meine Absichten waren damals, mit meinen neuen zeichnerischen Kenntnissen herum zu spielen und das komplexe Thema Seefahrt und Segeln zu erkunden. Wir brauchen immer wieder Menschen, die von ihren Erfahrungen berichten. Ich habe erst mit über 40 Jahren angefangen, mich mit den beiden Themen zu beschäftigen: digitales Zeichnen und Segeln. Es ist nie zu spät, etwas Neues zu lernen.
Mein Kanal war keine Bedrohung. Kein Mann muss Angst davor haben, dass Frauen segeln wollen, denn das Meer ist groß genug. Aber ich hatte die Sprache verändert und statt Schiffsführer gesagt: Schiffsführer oder Schiffsführerin. Die Reichweite des Videos war winzig. Ich weiß nicht, warum diesem Segelopa mein Video vom Logarithmus vorgeschlagen wurde und ich weiß nicht, warum er, anstatt mich in meinem Lernen zu bestärken, oder das Video einfach zu ignorieren, so einen abfälligen Kommentar hinterlassen musste. Aber ich habe mir jetzt auch langsam genug Gedanken darüber gemacht.
Jetzt ist Schluss damit
Eine Erkenntnis aus dem letzten Jahr mit den vielen zwangsverordneten Pausen und der reduzierten Geschwindigkeit, in der ich in meinem Leben unterwegs war, ist folgende: Muster, die du in der Kindheit erlernt hast, wirst du nur sehr schwer wieder los. Ich glaube, es geht. Aber es geht nur mit viel Geduld und mit Tatkraft.
Im Märchen ist die Bewegung immer der zweite Schritt. Der erste erzählt von der Ausgangssituation: Wie bist du gestartet? Warst du gut versorgt von deinen Eltern? Konntest du satt werden und ruhig schlafen? Durftest du in einem geschützten Rahmen deine Erfahrung machen und daran wachsen? Durftest du Fehler machen und erfahren, dass du trotzdem geliebt wirst? Oder hat dir etwas gefehlt?
Im Märchen geht es in den dunklen Wald
Dieser Mangel ist im Märchen immer der Grund, dass der zweite Schritt passiert. Dass es in die weite Welt hinausgeht, in den dunklen Wald oder in die tiefsten Höhlen.
Hier passiert etwas, dass dir hilft, diesen Mangel zu beheben und zu heilen und alte Muster loszulassen.
Zu unterschiedlichen Zeiten in unserem Leben ist es Zeit in den Wald zu gehen. Niemand schiebt uns in den Wald oder trägt uns dorthin. In den Wald kann ich nur auf meinen eigenen Füßen gehen. Sonst werde ich nicht die Erfahrung machen, die ich gerade brauche.
Für mich ist es jetzt Zeit, in den Wald zu gehen. Einen ersten Schritt habe ich gemacht, indem ich mit 46 Frauen über den Atlantik gesegelt bin. Auch in diesem Jahr werde ich wieder auf dem Traditionssegler nur mit Frauen unterwegs sein. Ich werde aber auch weiter lernen. Und ich werde davon erzählen.
Ich weiß noch nicht, was ich mit negativen Kommentaren machen werde. Ich weiß noch nicht, ob ich sie lösche oder 100 nette Sachen drunter schreibe. Ich will niemandem was wegnehmen; das wollte ich nie. Aber das darf mich auch nicht davon abhalten, das zu tun, was ich tun muss, damit es mir und meiner Seele gut geht. Und das ist in meinem Fall: auf dem Meer zu sein, wo mir niemand das Steuer, bzw. das Ruder aus der Hand nimmt, wo ich Wind im Gesicht spüre, wo es auch mal stürmisch ist und wo ich fühle, wovor ich Angst habe und was mich nicht erschrecken kann.
Neue Muster brauchen viele Wiederholungen
Unser Gehirn braucht viele Wiederholungen, um neue Wege zu bahnen. Deshalb will ich im Sommer 100 Videos machen. Kurze und lange, verrückte und ernsthafte. Egal. Einfach nur machen. Weil jeder es darf. Weil es vielleicht einem Menschen Mut macht, etwas zu lernen, was alle anderen verrückt finden.
Mein Video hat übrigens trotzdem Spuren hinterlassen; auch wenn es gelöscht ist und ich es nicht wieder herstellen kann. Meine Tochter hat es gesehen und sie hat sich mit einer Freundin zu einem Sommercamp zum Segeln angemeldet. Für sie ist völlig klar, dass Mädchen und Jungen gleichermaßen dafür geeignet sind, Abenteuer auf dem Meer zu erleben.