Inspiration für Kreativität findet sich überall – auch in der Bibel
Ich liebe alte Geschichten. Sie sind durch so viele Köpfe und Herzen hindurch gegangen und mündlich weitererzählt worden. Solange, bis nur noch das Wichtigste übrig geblieben ist. Alles andere wurde weggelassen. Deshalb stecken biblische Geschichten wie alte Märchen voller Weisheit. Trotzdem sollten sie sorgfältig gehört werden. Denn sie sind auf symbolische Weise wahr – sie berechtigen nicht dazu, an alten Geschlechterrollen und Vorurteilen festzuhalten.
Die Bibel ist für mich ein Buch, mit dem ich im Studium sehr gekämpft habe. Manchmal ist das Lesen frustrierend, manchmal tröstend. Die Geschichten sind groß. Viele Verse sind schillernd. Ich habe die Worte im Original gelesen und übersetzt, sie analysiert und im Kontext ihrer Zeit gesehen. Ich habe aber auch immer versucht, sie ins Heute zu ziehen, habe ihnen widersprochen, mich trösten lassen, mich manchmal geärgert.
Ich lese die Texte laut, gelegentlich singe ich sie, flüstere oder verschlucke mich an ihnen. Und immer wieder finde ich Trostschätze und Liebe. Unendliche, verrückte Liebe. Aber oft nicht auf den ersten Blick. Es braucht dieses Durchdenken und Durchkauen der Texte, bis sie mir neue Sichtweisen ausspucken. Manchmal wehren sie sich lange. Dann hilft es mir, in den Texten herumzumalen und meine Hände auf Erkundungsreise zu schicken.
Dieses Erkunden mit den Händen wird Bible Art Journaling genannt
Lange Zeit war das Lesen in der Bibel nur denen vorbehalten, die Latein, Griechisch oder Hebräisch verstehen konnten. Deshalb sind die Kirchen an den Wänden, Fenstern und Decken mit Geschichten vollgemalt. Seit Martin Luther gibt es Übersetzungen in die deutsche Sprache und viele andere sind ihm gefolgt. Wir können uns also selbst ein Bild machen von der Spiritualität, die in der Bibel über Jahrtausende aufbewahrt und überliefert wurde. Neben dem Studium mithilfe von Konkordanzen, Wörterbüchern und Lexika gibt es auch einen ganz intuitiven, persönlichen Zugang zu den Geschichten: das Bible Art Journaling. Die Methode setzt sich aus drei Wörtern zusammen:
1. Bible
Es beginnt alles mit einem Bibeltext. Ein Vers, ein Gebet, ein Kapitel oder eine Geschichte der Bibel steht im Mittelpunkt.
Auch wenn viele Menschen fast einen Herzinfarkt bekommen, wenn ich das sage: es ist durchaus erlaubt, in diesem heiligen Buch herumzumalen, etwas zu unterstreichen und Gedanken und Bilder an den Rand zu kritzeln.
2. Art
Beim Kritzeln entsteht etwas – Kunst (englisch: Art).
Aber Kunst in einem Sinne, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat.
Deine persönliche Kunst. Diese Kunst will nichts. Deine Hände folgen deiner Intuition, deinem Herzen. Du malst so, wie du im Kindergarten gemalt hast. Einfach nur so, um dich auszudrücken, um etwas zu erforschen oder einen neuen Stift zu testen. Du musst nichts beweisen und keinen bestimmten Stand an Techniken oder irgendwelche Vorkenntnisse haben.
Und wenn dir das Wort zu groß ist, dann lass es einfach weg und nenne dein kritzelndes Erforschen der Texte einfach Bible Journaling.
3. Journaling
Das dritte Wort, Journaling, drückt für mich die wunderbare Flüchtigkeit des Moments des Schaffens aus.
Heute male, denke, fühle ich etwas, wenn ich das Bibelwort höre und lese. Morgen ist es wahrscheinlich etwas anderes. Und genau so soll es sein. Das ist völlig in Ordnung.
Bible Art Journaling bedeutet: Mach dir selbst ein Bild!
Das Wort Bible Art Journaling könnte also als biblisches, gestaltetes Tagebuch übersetzt werden.
Denn das Gemalte soll nichts für andere bedeuten müssen.
Es ist eine wunderbar freie Methode, dich selbst mit einem Bibelvers ins Gespräch zu bringen. Und dabei machst du dir selbst dein ganz eigenes Bild.
Bible Art Journaling funktioniert digital auf dem Tablet oder analog auf einem Zettel oder in der Bibel. Mit Stempeln, Buntstiften und Aufklebern. Alles, was in die Finger kommt, ist erlaubt. Es ergibt sich ein neues Bild. Die Geschichte und das Gekritzel ergeben zusammen etwas Neues. Die alte Geschichte wird mit deinem Leben heute verbunden. Vielleicht entdeckst du Gemeinsamkeiten oder auch Unterschiede. Eigentlich immer finde ich einen Gedanken, den ich vorher noch nicht hatte.