Antoinette Lühmann

Ich bin Pastorin – und das ist gut so!

Ich habe zwei Jahrzehnte mit diesem Beruf gehadert und ich verschweige ihn oft. Warum? Weil er polarisiert und weil es wirklich anstrengend ist, immer im Dienst zu sein. Und trotzdem bin ich gerne Pastorin.

Wie ich zu diesem Beruf gekommen bin

Eigentlich wollte ich nie Pastorin werden. In der Schulzeit hatte ich nur einen Wunsch: In einen Leuchtturm ziehen und Kinderbücher schreiben.

Da ich ahnte, dass es schwer sein würde, veröffentlicht zu werden und als Autorin Geld zu verdienen, schwankte ich bei den Studienwünschen zwischen Jura und Psychologie. Wir fuhren mit der Klasse dann zum Arbeitsamt zur Berufsberatung. Ich habe so viele Interessen angekreuzt, dass der Berater sagte: Am besten, du studierst Lehramt. Da kannst du drei Fächer studieren.

Habe ich dann auch. Die Praktika haben mir sehr viel Spaß gemacht, aber das Studium erlaubte nicht, richtig tief in die Fächer einzusteigen. Nach drei Semestern war ich schon fast bei der Zwischenprüfung angelangt und dachte: Ich bin gerade 19 Jahre alt. Wenn ich in zwei Jahren fertig bin und dann in dem Beruf arbeite, bis ich in Rente gehe, dann hat etwas gefehlt. Das „einmal irgendwo sehr tief eintauchen“.

Also brach ich das Studium ab. Obwohl ich noch keine Zusage für eine Alternative hatte. Eine der schwierigsten Entscheidungen meines Lebens damals. Ich wollte Richtung Theater oder Journalismus gehen und ganz tief eintauchen in die Welt der Sprache und der Geschichten.

Doch ich bekam keinen Studienplatz in Germanistik. Dafür wurde mein Zweitwunsch erfüllt: evangelische Theologie. Religion fand ich in der Schule immer interessant. Schließlich geht es dort um die großen Fragen und um Geschichten. Ich hatte es neben Deutsch als Hauptfach in meinem Lehramtsstudium gewählt und es waren neben Psychologie und Pädagogik die interessantesten Vorlesungen und Übungen.

Ich dachte, ich fange damit an. Und dann nehme ich auf jeden Fall irgendwann als zweites Fach Germanistik dazu. Aber Theologie ist so ein umfangreiches Studium, dass es nicht vorgesehen war, ein zweites Fach dazu zu nehmen. Ich konnte zwar Pädagogik im Nebenfach studieren, aber Germanistik nicht.

Ich war im Studium dann immer an den Kursen interessiert, die mit der Germanistik oder Geschichte zusammen stattfanden. Den Horizont erweitern und die Perspektive wechseln war schon immer wichtig für mich. Aber die Geschichten des Alten bzw. Ersten Testaments, die Gleichnisse des Neuen bzw. Zweiten Testaments, die vielen Reden und Predigten aus 2000 Jahren Kirchengeschichte – das alles bot mir genau den tiefen Einstieg in Sprache und Geschichten, den ich mir ersehnt hatte. Deshalb blieb ich.

Ich studierte Griechisch, Hebräisch und Latein, die Entstehungsgeschichte der Bibel und ihrer Texte, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu philosophischen Gedanken der Jahrhunderte, Kirchengeschichte und die großen Texte anderer Religionen.

Am Ende des Studiums begann ich sogar eine Promotion (Doktorarbeit), um noch tiefer einzusteigen. Ich forschte für einige Monate zu den Märchen und Fabeln, die in den Predigten des 17. Jahrhunderts verwendet wurden. Das war sehr spannend und hat viel Spaß gemacht, weil ich stundenlang in der Bibliothek verschwinden konnte. Aber dann kam es doch anders.

Ich wurde schwanger mit dem dritten Kind und mein Mann erklärte sich bereit, zwei Jahre in Elternzeit zu gehen. In seiner Firma damals nicht ganz einfach. Aber für mich die einzige Chance, ins Vikariat zu gehen und meine Ausbildung abzuschließen. Ich ging also acht Wochen nach der Geburt ins Vikariat und wurde zu meiner eigenen Überraschung eine richtige Pastorin.

Was ist das “Problem” mit diesem Beruf?

Religion hat sehr viel Potential, die Menschheit zu spalten. Auf Segelschiffen gab es früher die Regel, dass über alles geredet werden darf – außer über Politik und Religion. 

Außerhalb meiner Arbeit rede ich deshalb selten über meinen Beruf. Wenn ich auf Fortbildungen oder bei Segelkursen bin, stelle ich mich als Autorin oder Märchenerzählerin vor. Manchmal habe ich in den letzten Jahren auch gesagt, ich bin Referentin. Ich gebe Fortbildungen in Kindergärten.

Wenn ich sage, dass ich Pastorin bin, erzählen mir die Menschen immer sofort, warum sie aus der Kirche ausgetreten sind oder warum sie es wichtig finden, Mitglied zu bleiben. Erstaunlich viele Menschen wissen gar nicht, ob sie evangelisch oder katholisch sind.

Nach einigen Stunden kommt dann immer noch eine persönliche Geschichte. Menschen erzählen mir, dass ihr Vater oder ihre Mutter gerade verstorben ist oder was sie sonst für großen Kummer mit sich herumtragen. Natürlich höre ich dann zu. Das ist mein Beruf. Da kann ich nicht aus meiner Haut.

Manchmal bekomme ich auch Kirchenkritik zu hören. Ich verteidige die Kirche nicht. In eintausendfünfhundert Jahren Kirchengeschichte sind viele schlimme Dinge im Namen Gottes oder unter dem Deckmantel dieses Systems getan worden. Trotzdem habe ich viele tolle Kolleginnen und Kollegen, die wie ich für die Menschen da sein wollen. Übergänge des Lebens begleiten, Worte für Angst und Zweifel finden.

Wir werden von den Kirchensteuern dafür bezahlt, Zeit zu haben, wenn jemand ein offenes Ohr braucht. Das ist eine gute Sache, finde ich. Ich frage vor einem Gespräch nicht, ob mein Gegenüber in der Kirche ist (weder bei Gesprächen am Gartenzaun noch bei der Vorbereitung von Taufen und Trauerfeiern) und ich muss danach auch keine Rechnung schreiben. Dafür bin ich dankbar. (Mal sehen, wie lange wir uns diese Haltung noch leisten können. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Warum ich heute selbstbewusst sage: Ich bin Pastorin – und das ist gut so!

Während des ganzen Studiums war ich mir sicher: Ich werde nicht Pastorin. Auch im Vikariat (das ist nach dem Studium die praktische Ausbildung, analog zum Referendariat im Lehramt) war ich hin- und hergerissen: zwischen wunderbaren Begegnungen und der Erfahrung, dass ich es Menschen wirklich leichter machen kann, wenn sie ihre Mutter, ihren Vater oder ihr Kind beerdigen müssen. Weil ich zuhöre, weil ich Worte finde für das, was ihnen im Halse stecken bleibt, weil ich einen Rahmen geben kann für etwas Unaussprechliches, was kaum auszuhalten ist.

Aber auf der anderen Seite ist da das alte System mit Haushaltsplanungen, Bauvorschriften und vielen Menschen, die wollen, dass alles so bleibt wie es immer war. Da fehlte mir oft die Geduld. Da wollte ich die Menschen manchmal schütteln und rufen: Nichts bleibt, wie es war! Und das ist gut so. Lass uns doch das Beste daraus machen.

Aber es ist eben auch ein ganz besonderer Beruf. Du bist in einer Bubble und lernst immer nur die gleichen Menschen kennen? Ich nicht. Ich bin mit Menschen allen Alters und mit den verschiedensten Berufen im Kontakt. Ich mache Besuche in winzigen Wohnungen und großen Villen, im Altenheim und auf der Entbindungsstation. Ich höre unzählige Lebensgeschichten. Immer die schönen und die schlimmen Dinge.

Ich lerne so viel über das Leben. Ich darf den Kindern stolzer Eltern Gottes Segen zusprechen und am Grab stehen und helfen, Abschied zu nehmen. Ich darf viel Musik hören und singen, Gottesdienste feiern und mit jungen Menschen im Konfirmandenunterricht über das Leben und ihre Perspektiven nachdenken. Ich darf in alten Mauern beten, in denen seit Jahrhunderten gebetet und gefleht, gelobt und getrauert wurde.

In diesem Beruf geht es immer um alles. Das ganze Leben, die großen Zweifel und die Hoffnung darauf, dass es gut ausgeht und dass es irgendwie irgendwann Sinn ergibt, was jetzt noch sinnlos scheint. Und manchmal ergibt es keinen Sinn und ist einfach nur furchtbar, was Menschen erleben müssen. Dann ist es gut, das zusammen auszuhalten, es erzählen zu können und damit nicht allein zu sein. Damit das Leben weitergehen kann.

Danke für deine Unterstützung!

Wenn du Mitglied der evangelischen Kirche bist, dann hilfst du mir dabei, diesen Beruf auszuüben und Zeit zu haben für Menschen, die Unterstützung brauchen. Danke dafür! Wirklich. Danke aus ganzem Herzen!

Pastorin Antoinette Lühmann am Meer
Pastorin und Mama mit Liebe zum Meer 🥰

Kann ich neben Pastorin auch noch was anderes sein?

In den letzten Jahren habe ich viele verschiedene Fortbildungen besucht. Ich habe sie privat bezahlt und in der Freizeit besucht und gelernt. Ich wollte sie für meine Selbständigkeit, für das kleine bisschen, was neben einem anspruchsvollen Beruf und einer Familie möglich ist. Das ist gar nicht so einfach, denn in diesem Beruf habe ich eigentlich keinen Feierabend.

Aber ich nehme mir die Zeit, vor allem in den Elternzeiten, und ich merke immer wieder, dass ich die Fähigkeiten und Erkenntnisse auch in meinem Beruf als Pastorin nutzen kann. Ich erzähle im Gottesdienst und im Kindergarten Märchen und Bibelgeschichten. Ich nutze meine Erfahrungen in der Schule und im Pädagogikstudium für den Konfirmandenunterricht und die Fortbildungen, die ich zum Beispiel für Kitas anbiete. Ich nutze die Methoden und die Haltung aus meiner Kommunikationspsychologie-Fortbildung für Konfliktgespräche und für die Begleitung von Menschen auch im Coaching oder wie wir sagen: in der Seelsorge. Ich nutze meine vielen Fortbildungen rund um das Schreiben natürlich auch für Predigten und Radioandachten.

Irgendwie fließt alles zusammen.

Trotzdem schreibe ich hier auf meiner Website eigentlich nichts über Spiritualität. Ich veröffentlichte hier keine Radiobeiträge, die beim NDR gesendet wurden. Alles was ich über Bücher und das Schreiben sage, funktioniert auch ohne Spiritualität und alles was ich zu Märchen und Geschichten schreibe, hat vielleicht manchmal einen Anflug von Spiritualität, aber ist nie ausschließlich christlich oder evangelisch gedacht.

„Frau Lühmann, warum trennen Sie eigentlich ihre Welten so stark? Schreiben Sie doch mal einen Pfarrhauskrimi!“, sagte vor vielen Jahren ein Agent zu mir. Ich habe in den letzten Jahren mehrere Exposes rund um ein Pfarrhaus geschrieben. Es war noch nicht die richtige Geschichte dabei. Aber ich merke, dass die Welten dichter zusammenrücken. Ich schreibe längst Bücher und Beiträge über den Glauben oder Konzepte für die Gemeinde wie die Erzählkirche und die Kinderkathedrale. Und vielleicht auch irgendwann meinen Pfarrhauskrimi.

Ich bin gerne Mutter und Erzählerin und Autorin und Coach und Kommunikationstrainerin und Ausbilderin. Und ich bin gerne Pastorin.

Kein Tag ist wie der andere in diesem Beruf. Doch jeder Tag fühlt sich sinnvoll an. Und das ist gut so.

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