Das leere Blatt Papier und der innere Kritiker
Am Anfang von jedem Bild oder Text steht ein weißes Blatt Papier.
Für manche Leute ist das herrlich, weil wieder etwas Neues entstehen kann. Aber die meisten Menschen, die ich kenne, haben großen Respekt vor dem leeren Blatt.
Einige sind davon sogar paralysiert. Das heißt, sie starren das Blatt an und der Kopf ist plötzlich leer.
Sie fürchten sich geradezu vor dem leeren Blatt.
Es gibt einige Möglichkeiten, diese Angst zu überwinden.
Manche Menschen schreiben gerne auf die Rückseite von Rechnungen oder auf Briefumschläge. So fühlt sich das Papier schon gebraucht an und die Hemmschwelle sinkt, die eigenen Worte hinzuzufügen.
Dahinter steckt die Sorge, dass meine Sätze nicht gut genug sind, um auf einem frischen Blatt Papier zu stehen.
Das ist natürlich Unsinn.
Denn in jedem ersten Entwurf stecken noch viele Wörter, die noch überarbeitet werden wollen. Das haben erste Entwürfe so an sich. Das gehört so!
Aber manchmal will unser Kopf das nicht glauben. Dann wird der berühmte innere Kritiker bemüht, der uns einreden will,
- dass andere diese Geschichte viel besser schreiben und dieses Bild viel besser malen könnten
- Weil andere viel klüger und erfahrener sind als wir
- Dass wir das sowieso nicht zu Ende bekommen
- Dass es niemanden interessieren wird, was wir geschrieben, gemalt, getöpfert haben
- Dass wir für das Ergebnis belächelt werden
Kreative Prozesse haben verschiedene Phasen – aber der innere Kritiker weiß das nicht
Man kann alles überarbeiten, nur keine weiße Seite. Dieser Satz stammt aus einem der ersten Schreibratgeber, die ich je gelesen habe: Titus Müller, Vom Abenteuer, einen Roman zu schreiben.
Seit dem lese ich jedes Jahr einen Ratgeber und ich finde meistens mehr oder weniger nützliche Anregungen für meinen eigenen kreativen Prozess.
Aber eigentlich lese ich sie, um die ultimative Lösung bzw. Abkürzung zu finden.
Die eine Lösung, die für alle gut ist.
Gibt es nicht.
Ist ja klar.
Ich habe sie noch nicht gefunden und bin überzeugt, dass ich sie nicht finden werde. Trotzdem höre ich Menschen unheimlich gerne zu, wenn sie über ihr Schreiben reden – oder eben schreiben.
Deshalb lese ich weiter – der innere Kritiker kann mich nicht aufhalten – jedenfalls nicht lange
Aber ich höre auch Menschen gerne zu, die andere künstlerische Berufe haben. In einem Vortrag der Modedesignerin Justine Lecomte habe ich zum ersten Mal von einem Moodboard gehört.
Es ist eine gute Möglichkeit, die Stimmung einer Geschichte zu suchen. Beim Suchen der Bilder für dein Moodboard kannst du ganz intuitiv vorgehen und erst einmal alles sammeln, was dir gefällt bzw. was dich an dieses Projekt erinnert. Am besten gehst du dabei sehr schnell vor. Nicht lange nachdenken.
Das sind zwei Tricks, um den Kopf, und damit auch den inneren Kritiker, aus dieser Phase herauszuhalten.
Du kannst Bilder und Worte aus Zeitschriften rausreißen oder auf Pinterest ein Board anlegen und alles pinnen, was dir zu deinem Stichwort, deiner Überschrift einfällt.
(Hier ein Beispiel zum Thema Störche für eine Postkarte, die ich malen möchte)
Folge erst der Intuition – und lass dann den inneren Kritiker ans Werk gehen
Ich plane dann anschließend noch einen zweiten Schritt. Hierbei darf der Kopf mitarbeiten.
Ich entscheide, welche Bilder und Worte ich behalten will und was mir daran gefällt.
Dadurch verhinderst du auch, dass du beim Malen oder Schreiben etwas kopierst.
Du lässt dich inspirieren und setzt dann ein neues Bild zusammen.
Der innere Kritiker ist ein beliebtes Gesprächsthema unter Kreativen. Manche geben ihm sogar einen Namen.
Du kannst dem inneren Kritiker einen Namen geben
Aber beschimpfe ihn nicht.
Der innere Kritiker ist ein wertvoller Verbündeter auf dem Weg, dich weiterzuentwickeln.
Er darf nur nicht in bestimmten Phasen des künstlerischen Prozesses zu Wort kommen. Dann kann er dir das ganze Projekt verderben oder dich vor dem leeren Blatt erstarren lassen.
Vertröste ihn auf später – auf das Sortieren der Ideen auf deinem Moodboard und auf die große Aufgabe des Überarbeitens.